
eute vor 35 Jahren kniete Willy Brandt vor dem Denkmal für die Opfer des Warschauer Ghettos in Warschau. Eine Erinnerung von Erhard Eppler
Berufe können Menschen deformieren. Der des Politikers besonders. Oft wissen Politiker nicht mehr, wozu die Macht gut sein soll, um die sie kämpfen. Sie verhärten sich, ihr Blick verengt sich, sie werden zynisch.
Nicht so Willy Brandt. Er ist im politischen Gerangel reifer geworden, gelassener, geduldiger, großzügiger, humorvoller, weiser. Man vergleiche nur die Fotos des 75-Jährigen mit denen des 50-Jährigen.
Am tiefsten hat sich mir eine Begebenheit eingeprägt, in der Willy mehr als sonst aus sich herausging. Wenige Tage nach seinem Kniefall im Warschauer Ghetto hatte er die sozialdemokratischen Minister seiner Regierung am Abend zu einer Besprechung in den Kanzler-Bungalow eingeladen. Als wir fertig waren, es war schon Mitternacht, bat er mich, noch etwas zu bleiben. Ich tat es gerne, denn Willy unter vier Augen war nichts Alltägliches. Als wir vor unserem Whisky saßen, reichte er mir die Bildzeitung. Dort wurde der Kanzler kritisiert wegen des Kniefalls, und zwar mit der Begründung: Knien tut man nur vor Gott. Während ich, der langsame Schwabe, noch überlegte, was ich dazu sagen könnte, brach es aus Willy heraus. Woher wissen diese Schweine, vor wem ich gekniet bin? Jetzt konnte ich nur noch schweigen.