Einheitsorganisation mit 18 Branchenverbänden

Bei den deutschen Gewerkschaften, die nach der Befreiung 1945 sofort mit der Neugründung von Gewerkschaften begannen, gab es keine Unterschiede zwischen Ost und West. Konsens bestand auch über das Konzept der Einheitsgewerkschaft Dennoch vollzog sich der organisatorische Neuaufbau in Berlin und in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) viel schneller und zentralistischer als im Westen; dort haben die Militärregierungen Gewerkschaften offiziell erst später und nur auf lokaler Ebene zugelassen.

In der SBZ dagegen, wo mit Berlin, Sachsen und Thüringen traditionelle Hochburgen der Arbeiterbewegung lagen, erlaubte die Militärregierung schon mit ihrem Befehl Nr. 2 vom 10. Juni 1945 die Bildung von Parteien und Gewerkschaften. Schon am 15. Juni stellten sich in Berlin Vertreter der alten Richtungsgewerkschaften (sozialdemokratisch, christlich, liberal, kommunistisch) als "Vorbereitender Gewerkschaftsausschuss für Groß Berlin" vor. Den Aufruf des Ausschusses unterzeichneten neben Sozialdemokraten und Kommunisten auch Ernst Lemmer für die liberalen und Jakob Kaiser für die christlichen Gewerkschaften; beide gehörten auch zu den Mitbegründern der CDU in Berlin am 26. Juni, die sich als neue und überkonfessionelle Partei (Katholiken und Protestanten) zu einem "christlichen Sozialismus" bekannte.

In dem betont politischen Aufruf des Ausschusses wurde nach scharfer Verurteilung des Nazismus und der Selbstkritik an der Spaltung der demokratischen Kräfte in der Weimarer Republik die Schlußfolgerung gezogen: "Die neuen freien Gewerkschaften sollen unter Zusammenfassung aller früheren Richtungen in ihrer Arbeit eine Kampfeinheit zur völligen Vernichtung des Faschismus und zur Schaffung eines neuen demokratischen Rechts der Arbeiter und Angestellten werden. Ihre Aufgabe ist vor allem, mitzuhelfen bei der Neugeburt unseres Volkes … . Sie sollen mithelfen, ein demokratisches Deutschland, das in Frieden und Freundschaft mit den anderen Völkern leben will, zu schaffen."

Neben dringenden Tagesaufgaben, wie Sicherung der "Versorgung der Bevölkerung" und "Wiederingangsetzung der Versorgungsbetriebe … und der Verkehrsmittel von Groß Berlin" nennt der Aufruf das gesellschaftspolitische Ziel: "Mitarbeit beim Wiederaufbau der Wirtschaft und der Sozialversicherung unter Sicherung des demokratischen Mitbestimmungsrechtes der Arbeiter und Angestellten." Schon im Juli 1945, also noch vor der offiziellen Zulassung von Gewerkschaften auf lokaler Ebene in den Westzonen, war in Berlin der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) als zentralistische Einheitsorganisation mit 18 Branchenverbänden und mit bald 140 000 Mitgliedern aufgebaut.

Ende 1945 begann schon der Zusammenschluß auf Zonenebene, so dass am 9. Februar 1946 der Gründungskongreß des FDGB für die SBZ zusammentrat; das war noch vor der Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED, und über ein Jahr vor dem Gründungskongreß des Deutschen Gewerkschaftsbundes für die britische Zone im April 1947. Im Rückblick ist natürlich bekannt, dass der FDGB in der SBZ und DDR von einer parteipolitisch unabhängigen Interessenvertretung der Arbeitnehmer zu einem machtpolitischen Instrument der kommunistischen Diktatur pervertiert wurde. Doch die Mehrheit der damals aktiven Gewerkschafter glaubte an eine demokratisch sozialistische Zukunft.

Obwohl von Anfang an die sowjetische Militärregierung die Kommunisten bevorzugte und massiv unterstützte, gewann die am 16. Juni 1945 in Berlin wiedergegründete SPD schnell mehr Mitglieder und größere Zustimmung in der Bevölkerung als die KPD. Ähnlich wie Kurt Schumacher im Westen, meldeten daher auch im Osten die Sozialdemokraten unter Otto Grotewohl einen begründeten Führungsanspruch für den demokratischen Neuaufbau Deutschlands an. Trotz relativer Stärke der KPD hatten die Sozialdemokraten vor allem auch in der Arbeiterschaft und im neu entstehenden FDGB den größten Einfluss.

Auf dem 1. Parteitag des Bezirks Leipzig am 26. August 1945 verwies Otto Grotewohl selbstbewusst auf den überwältigenden Erfolg bei den Vertrauensratswahlen im Leunawerk: In freien Wahlen hafte die Belegschaft 26 Sozialdemokraten, 5 Bürgerliche und nur einen Kommunisten gewählt. Heute ist es kaum noch bekannt: Von 1946 bis 1948 fanden 9 Interzonentreffen statt. Vertreter der neuen Einheitsgewerkschaften aus allen 4 Besatzungszonen, also auch des FDGB in der SBZ, beschlossen programmatische Forderungen für den demokratischen Neuaufbau ganz Deutschlands, die weitgehend mit den Auffassungen der neu gegründeten SPD im Westen und im Osten übereinstimmten: Wirtschaftsdemokratie und "das paritätische Mitbestimmungsrecht in allen Zweigen der Wirtschaft . … Die Beseitigung der Zonengrenzen und die Herstellung der wirtschaftlichen und politischen Einheit Deutschlands." (II. Interzonenkonferenz, Dezember 1946 in Hannover).

Die IV. Interzonenkonferenz im Mai 1947 forderte neben der "Wiederherstellung der wirtschaftlichen Einheit Deutschlands" die grundlegende "Neugestaltung der Wirtschaft" und den "Aufbau eines Systems geplanter und gelenkter Wirtschaft. Vergesellschaftung der für die Lenkung der Gesamtwirtschaft wichtigen Schlüsselindustrien, Kredit und Versicherungsinstitute." In den Entschließungen der Interzonenkonferenzen bekannten sich die Gewerkschaften, also auch der FDGB, zum Prinzip der Einheitsgewerkschaft und der "parteipolitischen Neutralität".

Obwohl die Kommunisten diese "parteipolitische Neutralität" ablehnten, konnten sie erst gegen anhaltenden Widerstand der Mehrheit der Arbeitnehmer die Gleichschaltung des FDGB durchsetzen. Diese Gleichschaltung und damit auch Spaltung der deutschen Einheitsgewerkschaft im Sommer 1948 war nicht das Ergebnis einer veränderten innergewerkschaftlichen Meinungsbildung im FDGB, sondern die Folge des offen ausgebrochenen Ost West Konflikts: Juni 1948 Währungsreform in den Westzonen und Blockade Berlins. Auch nach der Gleichschaltung des FDGB und Gründung der DDR blieben die Arbeitnehmer das stärkste freiheitlich demokratische Potenzial gegen die kommunistische Diktatur, wie der Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 zeigte.