"Seit der 5. Klasse haben die anderen immer blöde Sprüche abgelassen", erzählt Evin. Freundinnen, die sie vor den Hänseleien beschützt hätten, hatte sie keine. "Alle haben einfach mitgelacht", erinnert sich die Schülerin der Mühlenkampschule Büren. Dass die 14-Jährige heute wieder gern zur Schule geht, liegt an dem erfolgreichen Einsatz des Anti-Bullying-Programms.
Seit dem 1. Februar arbeiten Sozialarbeiterin Cornelia Wölting und die rund 40 Lehrer der Hauptschule mit dem Anti-Bullying-Programm (die NW berichtete). Evin war die erste Schülerin, die ein Konfliktprotokoll ausfüllte. Sie wandte sich an die Sozialarbeiterin und konnte die Probleme mit ihren Mitschülern lösen.
Johannes und Alex waren zwei von den Bullies. "Die anderen haben Evin geärgert, da haben wir einfach mitgemacht", erzählen die beiden 13-Jährigen. Dass sie ihre Mitschülerin damit verletzten, war ihnen nicht bewusst. Erst als sie ihr Verhalten reflektierten, indem auch sie die Konfliktprotokolle ausfüllten, die dann an die Eltern der Beteiligten gingen, setzte ein Umdenken ein. "Über diese Strategie können wir Verhaltensänderungen schaffen", sagt Schulleiter Hans-Werner Rüther. Es sei wichtig, die Eltern mit in die Verantwortung zu nehmen und am Schulleben zu beteiligen.
Die Bürener Hauptschule setzt auf Prävention statt Polizeischutz. Bundesweit lösten die Vorfälle an der Rütli-Hauptschule in Berlin-Neukölln eine Debatte über Hauptschulen aus, die in eine Stigmatisierung auszuufern droht. Schlagzeilen wie "Tatort Schule", ärgern Rüther und Wölting. Auch in Büren kennt man die speziellen Probleme einer Hauptschule. Etwa ein Drittel der rund 490 Schüler sind Migrantenkinder und drei Prozent Ausländer. Doch Sprachschwierigkeiten, die als Integrationsbarriere Nummer eins diskutiert werden, gebe es "quer durch alle Gruppen", also auch bei Deutschen, so Rüther.
Gesamtschule als Lösung der Probleme hält Wölting für verfehlt. "Unsere Schüler bekommen ihre Lernmotivation durch persönliche Beziehungen untereinander und zu den Lehrern", befürchtet sie, dass viele verschiedene Kurse sich negativ auf das Lernverhalten auswirken könnten. Leistungsorientierten Unterricht in Form von Grund- und Erweiterungskursen gibt es ab der Klasse 7 sowieso schon.
Zudem würden z. B. bei einer Zusammenlegung der Real- und Hauptschule im Bürener Schulzentrum die Anzahl und auch einzelnen Probleme der Schüler – immerhin rund 1.500 – unübersichtlich. Stattdessen müssten Konflikte ernst genommen werden. "Hier geht es ums Lernen und nicht um Strafen", betont Wölting den Stellenwert des klärenden Gesprächs beim Anti-Bullying-Programm – und zwar auch zwischen Kindern und Eltern.
Johannes hat zum Beispiel intensiv mit seiner Mutter über die Vorfälle in der Schule gesprochen. Dadurch ist ihm klar geworden, dass sein Verhalten gegenüber Evin unfair war. Auch für Alex hat sich seit der konkreten Auseinandersetzung einiges geändert. "Früher habe ich immer gleich zurück geschimpft und manchmal kam es sogar zu einer Schlägerei, heute höre ich gar nicht mehr hin", sagt er.
Und Evin? Ihr macht Schule wieder Spaß. Sie ist kein Mobbing-Opfer mehr und hat auch Freundinnen gefunden, seitdem sie nicht mehr der Prellbock der Klasse ist. "Die anderen lassen mich nicht nur in Ruhe, sie sind sogar nett zu mir", freut sich die 14-Jährige.
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Dokument erstellt am 05.04.2006 um 17:34:35 Uhr
Erscheinungsdatum 06.04.2006 | Ausgabe: PADERB | Seite: 02