
Ihr Arm fährt auf und nieder wie der Kolben eines Hochleistungsmotors. Mal kommt die scharfe Handkantenbewegung, mal formen Zeigefinger und Daumen eine Null.
Dazu spricht Ulla Schmidt wie ein Maschinengewehr über die Gesundheitsreform; mit ihrer typischen nasal-heiseren Stimme. Ohne Punkt und Komma. Die Art und Weise wie die Ministerin Ulla Schmidt (57) die umstrittene Reform präsentiert, ist bestimmt nicht gesund. Atmet sie eigentlich noch? Nein, sie redet!
Eine Ministerin gegen den Rest der Welt. Zum verbalen Schlagabtausch kam es am Mittwochabend auch in Bad Lippspringe. Etwa 350 Menschen füllten das Park-Hotel bis auf den letzten Platz. Diese Veranstaltung zur Gesundheitsreform soll zur Versachlichung der Diskussion betragen, appelliert die Paderborner SPD-Bundestagsabgeordnete Ute Berg ans Publikum. Ein frommer Wunsch. Die Reform, so Berg, sei tragfähig und besser als ihr Ruf.
Draußen vor der Tür haben zu diesem Zeitpunkt aber schon einige Demonstranten der Linkspartei ihrem Unmut Luft gemacht. Ihr macht uns krank, steht in dicken Lettern auf den Flugblättern. Die Operation sei misslungen, die Große Koalition in Berlin lasse das solidarische Gesundheitssystem verbluten, lautet die beißende Kritik.
Auf kaum einem anderen Politikfeld wachsen derzeit so viele Emotionen. Kranke und Gesunde, Apotheker und Ärzte, Pharmaunternehmen und Krankenkassen ringen um ihre Interessen und sorgen sich teilweise auch um ihre Pfründe. Hoffnungen, Forderungen, Ängste und Sorgen wogen durcheinander. Ich kann gut verstehen, dass viele das Gefühl habe, sie wüssten überhaupt nicht mehr, was passiert, sagt Ulla Schmidt.
Es gibt ein paar Pfiffe im Publikum. Deshalb legt die Ministerin jetzt noch einen Tacken zu. Das deutsche Gesundheitssystem sei eines der besten in der Welt. Wegen des medizinischen Fortschritts, der längeren Lebensdauer, aber auch wegen der galoppierenden Kosten müsse dieses System reformiert werden. Sonst fährt es gegen die Wand, sagt Schmidt und streckt ihren rechten Zeigefinger schon wieder himmelwärts.
Der Finanzierungsteil der Reform sei aus Sicht der SPD nicht optimal gelungen. Er könnte solidarischer sein, bekennt Schmidt. Ansonsten stellt sie die angeblichen Vorteile heraus. Mehr Transparenz bei den ärztlichen Leistungen, besserer Ausgleich zwischen den Krankenkassen, mehr Wechselmöglichkeiten für Privatversicherte.
Im Rheinland gab es 750 Krankenbetten, da hat nie einer drin gelegen, sagt Schmidt. Es werde auch viel verordnet, obwohl man weiß, es nutzt nichts. Solche Sätze hört die Ärzteschaft nicht gern. Schmidt hatte die Mediziner wegen ihrer jüngsten Proteste als Geiselnehmer bezeichnet, was ihr prompt eine Strafanzeige wegen Beleidigung eintrug. Ich bin ein Geiselnehmer, mit diesen Worten stellt sich in Bad Lippspringe ein Arzt aus Arnsberg vor. Die Rede der Ministerin sei einzig und allein schön klingendes Geschwafel, moniert eine Medizinerin. Die Rationierung findet statt, die Bürokratie wird ausgeweitet, ruft ein niedergelassener Hausarzt.
Die Ärzteschaft möge sich zurückhalten, bittet die Moderatorin. Jetzt jammert ein Apotheker über den Arzneimittel-Versandhandel. Eine Sprecherin der Krankenkassen fürchtet deren Zentralisierung. Eine Krankenschwester beklagt den Personalabbau. Ein Patient meldet sich an diesem Abend nicht. Alle anderen wird Ulla Schmidt am Ende noch kurieren. Sie sagt: Ich lasse mich von niemandem hinter die Fichte führen.
Das Reizthema Gesundheitsreform bewegt zahlreiche Menschen. Ärzte, Beitragszahler und Krankenkassen äußern viel Kritik. Dabei zeigt sich die Gesundheitsministerin stark im Nehmen.
© 2006 Neue Westfälische
Paderborner Kreiszeitung, Freitag 15. Dezember 2006