Herr Beck, welche Reformvorhaben trauen Sie der Großen Koalition noch zu?
KURT BECK: Zunächst werden wir weiter den Haushalt konsolidieren. Angesichts der höheren Einnahmen dürfen wir jetzt nicht knieweich werden. Dann müssen wir im Bereich der frühkindlichen Bildung und Betreuung weiterkommen. Da reicht es nicht, ein gutes Ziel zu verkünden. Das muss auch finanziert werden. Die Kommunen können das allein nicht schaffen. Dringend erforderlich ist auch die Reform der Ausbildungsförderung mit höheren Freibeträgen für die Eltern. Ich gehe davon aus, dass wir die Reform der Unternehmenssteuer in den nächsten Wochen über die Bühne bekommen, und wir werden in diesem Jahr die Erbschaftssteuer reformieren. Kleine Erbschaften sollen unbelastet bleiben, Betriebsübergänge erleichtert werden. Wer eine hohe private Erbschaft antritt, soll aber einen angemessenen Beitrag zahlen. In Arbeit ist auch eine Reform der Pflegeversicherung, um sie dauerhaft auf eine stabile Grundlage zu stellen.
Ist der Hinweis von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU), der Bund könne die Bau- und Investitionskosten zusätzlicher Krippenplätze übernehmen, die Kommunen müssten dann die Betriebskosten tragen, eine Sollbruchstelle, um das Projekt zu beerdigen?
BECK: Baumaßnahmen sind eher eine Randerscheinung. Wir reden über zusätzliche jährliche Kosten von drei Milliarden Euro. Die Kommunen können diese Aufgabe alleine nicht stemmen, sie brauchen da Hilfe.
Was wollen Sie tun, damit der Bund nachlegt?
BECK: Das Finanzierungskonzept der SPD liegt vor. Wir warten jetzt darauf, was die Familienministerin vorschlägt. Ich hoffe, dass im Kabinett am 9. Mai und in der Koalitionsrunde am 14. Mai belastbare und finanzierte Vorschläge auf dem Tisch liegen.
Sie haben ja ein ziemlich umfangreiches Arbeitsprogramm beschrieben. Haben denn CDU/CSU und SPD überhaupt den Willen, bis 2009 in der Koalition zu bleiben?
BECK: Wir haben den Willen, und ich gehe davon aus, dass das auch für die allermeisten Personen und Kräfte bei CDU und CSU gilt. Vor der Bundestagsfraktion habe ich allerdings deutlich gemacht, dass es für alles Grenzen der Belastung gibt. Wenn man in einer Koalitionsrunde verabredet, dass es bei der Reform der Erbschaftssteuer bleibt, und am nächsten Tag geht das Trommelfeuer aus der Union weiter, dann muss man auch mal sagen: So haben wir nicht gewettet. Das ist nicht der Streit um irgendeine Sachfrage, da geht es um Vertrauen. Das ist bei der Erbschaftssteuer deshalb so bedeutend, weil diese Steuer 2008 ausläuft, wenn gar nicht gehandelt wird.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Krise für beendet erklärt. Sehen Sie das genauso?
BECK: Ich habe keine Krise gesehen. Es war aber notwendig, deutlich zu machen, dass man Vertrauen in einer Koalition braucht, und das habe ich an einem konkreten Punkt festgemacht. Ich habe klare Worte gesagt. Ich gehe davon aus, dass sie verstanden worden sind. Das tägliche kleine Gerumpel und Rumoren nehme ich nicht ernster, als es nötig ist.
Teilen Sie den Eindruck vieler Beobachter, dass einflussreiche Kräfte in der Union nur nach dem Zeitpunkt Ausschau halten, an dem man die Koalition am günstigsten platzen lassen kann?
BECK: Nein. Dabei rede ich nicht von Leuten aus der dritten oder vierten Reihe, sondern ich rede von den Verantwortlichen in der Union. Die Union kann sich auch darauf verlassen, dass wir nicht auf Bruch spielen.
Wo sollte man auch hin? Die Umfrageergebnisse sind ja nicht so, dass man fröhlich an Neuwahlen gehen könnte.
BECK: Wichtig ist, dass wir Vereinbarungen getroffen haben, und die sind einzuhalten.
Ärgern Sie sich denn über die Umfrageergebnisse der SPD?
BECK: Die Wirtschaft wächst, die Sozialkassen stabilisieren sich, aber die Menschen scheinen nicht zu denken, dass die Politik der SPD daran einen Anteil hatte. Stattdessen hat sie in den eigenen Reihen immer noch Probleme mit der Agenda 2010 und den Hartz-IV-Gesetzen. Wir müssen noch viel Vertrauensarbeit leisten. Aber klar ist auch: Die SPD hat mit ihrer Arbeit in der Großen Koalition maßgeblich dazu beigetragen, dass es in unserem Land wieder bergauf geht. Auch die von der rot-grünen Regierung eingeleiteten Reformen zeigen jetzt Wirkung.
Erwächst der SPD durch den Zusammenschluss der linken Parteien ein strategisches Problem?
BECK: Auf lange Sicht gesehen glaube ich das nicht. Der Populismus der Linken hat seine Verlockungen, und es klingt schön, wenn man fordert, die Renten müssten steigen, die Lebensarbeitszeit dürfe nicht steigen und der Staat solle den Rest bezahlen. Ich sage dazu nur: Was nicht erarbeitet wird, kann weder aus der Steuerkasse noch aus der Sozialversicherungskasse bezahlt werden.
Was sind denn die Angebote der SPD, um die traditionelle Anhängerschaft wieder zu binden, und für die, die man darüber hinaus braucht, um Wahlen zu gewinnen?
BECK: Wir müssen der Stammwählerschaft und darüber hinaus der breiten Öffentlichkeit klarmachen, dass es zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und der Sozialversicherung keine Alternative gibt. Das ist keine frohe Botschaft für die Menschen, aber eine wahre und notwendige. Wir wollen und werden jetzt sicherstellen, dass die Menschen am Aufschwung teilhaben. Das reicht vom Kündigungsschutz und der Mitbestimmung über Fort- und Weiterbildung bis zur Beteiligung an Unternehmensgewinnen und der Verteidigung der Tarifautonomie. Auch Mindestlöhne gehören dazu.
Sehen Sie noch die Chance für die Einführung eines Mindestlohns?
BECK: Wir wollen weiter vorankommen. Wir haben bereits viel erreicht. Der Mindestlohn gilt für Bauarbeiter und im Gebäudereinigerhandwerk davon allein sind 850.000 Menschen betroffen. Wir arbeiten jetzt daran, für weitere Bereiche Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären. Etwa für die Zeit- und Leiharbeiter, das Bewachungsgewerbe und die großen Fleisch verarbeitenden Betriebe. Am Ende halten wir an der Forderung fest, dass für die Bereiche, in denen es keine Tarifverträge gibt, ein Mindestlohn per Gesetz festgesetzt wird.
Stichwort Klimawandel. Lässt die SPD noch einmal über den vereinbarten Atomausstieg mit sich reden?
BECK: Nein. Das Problem des hochradioaktiven Mülls ist weniger gelöst denn je. Die Klimafrage können wir nur beantworten, wenn wir auf neue Technologien setzen, auf die Umwandlung von Sonnenenergie, auf Brennstoffzellen, auf nachwachsende Rohstoffe. Für eine Übergangszeit werden wir auch nicht umhinkommen, Braunkohle und Steinkohle zu verstromen und dabei den Kohlendioxidausstoß zu minimieren.
Sie planen eine Umorganisation der SPD-Spitze. Wer soll künftig die nordrhein-westfälischen Sozialdemokraten in der Parteiführung vertreten?
BECK: Darüber führe ich gerade eine Reihe von Gesprächen.
Letzte Fragen an den Fußballexperten Kurt Beck: Steigt Bielefeld ab? Steigt Kaiserslautern auf? Wird Schalke Meister?
BECK: Ich glaube, dass sich Bielefeld rettet. Auch wenn es mir als Pfälzer weh tut, Kaiserslautern steigt jetzt wohl nicht auf. Und Schalke, Bremen oder Stuttgart werden Meister, die Bayern jedenfalls nicht.
Weder SPD noch CDU/CSU wollen nach Ansicht des SPD-Vorsitzenden Kurt Beck die Große Koalition vorzeitig platzen lassen. Mit dem Mainzer Ministerpräsidenten sprachen Carsten Heil und Peter Jansen.
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Paderborner Kreiszeitung, Samstag 05. Mai 2007