

In diesem Viertel von Straßburg tragen sogar die Regenschirme und Apotheken den europäischen Sternenkranz: Mitten ins Wohngebiet hineingebaut wurde der riesige, verwinkelte Gebäudekomplex, zu dem das Europäische Parlament gehört. Einmal im Monat für die Sitzungswoche das zweite Zuhause von Mechtild Rothe (SPD).
Die Vizepräsidentin des Europäischen Parlamentes erlebte ihre letzte Woche als Abgeordnete in Straßburg. Sie hört auf. Abschiedsstimmung nach 25 Jahren. Ich gehe mit einem guten Gefühl raus, denn ich habe ordentliche Arbeit gemacht, bilanziert die Bad Lippspringerin. Im gewölbten Plenarsaal hatte sie am Dienstag als Sitzungsleiterin noch einmal die 27 Flaggen der Mitgliedsstaaten hinter sich und das große Oval für 785 Abgeordnete vor sich. Zweieinhalb Jahre war die 61-Jährige Vizepräsidentin. In der allerersten Woche am zweiten Tag wurde ich gleich gefragt, ob ich die Sitzung leite. Was hatte ich für ein Herzklopfen, erinnerte sie sich lachend. Ich hatte vorher genau die Reihenfolge der Beiträge durchgesehen. Kann ich die Namen aussprechen? Dann saß ich fünf Minuten dort oben und habe gedacht: Alles super, ist doch gar nicht so schlimm.
Seit 1984 saß sie im Europa-Parlament, war unterwegs zwischen Brüssel und Straßburg, Bad Lippspringe und den Ländern Europas. Nun wird sie wieder öfter in Bad Lippspringe sein. Ich habe mir dort ein Häuschen mit Garten gemietet, erzählt sie mit sichtlicher Vorfreude. Außerdem gibt es das Häuschen in Griechenland. Und sie freut sich gewaltig darauf, Freunde mit Selbstgekochtem zu bewirten. Eine große Leidenschaft von ihr.
Sie komme aus einem christlich geprägten Elternhaus, in dem Gerechtigkeit und das Miteinander von großer Wichtigkeit waren, sagt Mechtild Rothe. Und sie sei geprägt worden von Willy Brandt, dessen Versöhnungpolitik mit dem Osten für sie eine Grundlage des heutigen geeinten Europas ist. Die Kommunalpolitik habe ihr im Bad Lippspringer Stadtrat großen Spaß gemacht. Weil sie so konkret war. Bei ihrer ersten Kandidatur für das Europa-Parlament trat sie gegen einen Parlamentarier an und gewann. Europa ist eine Staaten-Gemeinschaft, die sich zusammengetan hat, weil sie gemeinsam bessere Lösungen für Menschen schaffen kann als allein, erklärt sie.
Rothe bedauert aber, dass so wenige Bürger in den EU-Staaten zur Europawahl gehen: Vor fünf Jahren bei uns gerade einmal 42 Prozent. Es ist ärgerlich, dass sich der Eindruck vom Europa-Parlament als einer ,hochbezahlten Laberbude so festgesetzt hat. Dass es auf der europäischen Bühne um die Interessen der Menschen gehe egal ob in Paderborn, Rom oder Helsinki , das müsse bei ihnen auch ankommen. Denn es gibt keine andere Möglichkeit als Europa. Dies ist absolut der richtige Weg. Das Kirchturmdenken ist vorbei.
© 2009 Neue Westfälische
Paderborner Kreiszeitung, Samstag 09. Mai 2009