

Mozart hat sie als Königin der Instrumente bezeichnet – und doch sieht der Gottesdienstbesucher von der Orgel selten mehr als ein kunstvoll gearbeitetes Holzprospekt und die darin eingelassenen Pfeifen. Das WESTFÄLISCHE VOLKSBLATT hatte Gelegenheit, in der Bürener Nikolaus-Kirche hinter die Kulissen zu blicken.
Kantorin Regina Werbick öffnet eine schmale Tür neben dem Spieltisch. Schwarz-gelbe Warnaufkleber erinnern daran, dass es besser ist, hier den Kopf einzuziehen. Pfeifen sind noch keine zu sehen, dafür jede Menge Seilzüge, Winkel und Wellen. Sie sind Teil der so genannten Traktur, durch die die Tasten mit der Pfeife verbunden werden. Drückt die Dekanatskirchenmusikerin eine Taste, öffnet sich ein Ventil – Wind strömt in die Pfeife, es erklingt ein Ton. »Die Orgel in der Pfarrkirche hat eine mechanische Traktur«, erläutert Regina Werbick. Bei modernen Instrumenten würden die Pfeifen elektronisch angesteuert.
Die ältesten Teile des Instrumentes in der Bürener Nikolauskirche sind mehr als 250 Jahre alt. 1744 wurde sie von einem berühmten barocken Orgelbaumeister gebaut – Johann Patroclus Möller. Ursprünglich stand die Orgel in der Kirche des Augustiner Chorherrenstifts in Böddeken. Nach dessen Auflösung kam das Instrument 1804 nach Büren. »Es ist erstaunlich, dass sich die Orgel so gut in den Kirchenraum einfügt, obwohl sie gar nicht dafür gemacht wurde«, ist die Kantorin begeistert.
Sie steht jetzt hinter dem Instrument, bis zur Außenwand der Kirche sind noch etwa drei Meter Platz. »Wer mehr Pfeifen sehen will, muss die Leitern hinauf steigen«, sagt Regina Werbick und macht sich auf den Weg ins »Obergeschoss« der Orgel. Dort öffnet sie zwei Flügeltüren. Dahinter eröffnet sich dem Betrachter ein atemberaubender Anblick: Pfeifen, aufgereiht nach Größe und Klangfarbe. »Manchmal mache ich Führungen für Kinder, die fragen dann immer wie viele Pfeifen die Orgel hat«, erzählt Regina Werbick. Eine genaue Antwort auf diese Frage kann sie allerdings nicht geben. »Es sind auf jeden Fall mehrere Tausend«, schätzt sie. Die längsten Pfeifen stehen in den Pedaltürmen, die die Gottesdienstbesucher vom Kirchenschiff aus ganz links und rechts außen im Orgelprospekt sehen können. »Die Pfeifen sind 16 Fuß lang, das entspricht ungefähr fünf Metern«, rechnet die Kantorin vor. Das Pendant zum Pfeifenriesen ist ein Zwerg. Er gehört ins Register Sifflöte und misst nur wenige Millimeter.
Immer wieder ist die Orgel in den vergangenen 250 Jahren umgebaut worden. Bei einer Restaurierung in den fünfziger Jahren durch die Orgelbaufirma Breil wurde das Instrument um ein drittes Manual erweitert und erhielt zusätzliche Pfeifen in einem Brustwerk.
Im kommenden Jahr stehe eine kleinere Überholung an, verrät Regina Werbick. Es muss ein neuer Motor her, der die Orgel mit Wind versorgt. »Wir müssen eigentlich täglich damit rechnen, dass er ausfällt«, sagt Werbick und steigt die Leitern wieder hinunter.
Als sie am Spieltisch ankommt, zeigt sie auf die Prospektpfeifen. »An vielen anderen Orgeln sind sie nur Attrappen, bei uns klingen sie«, sagt die Musikerin. Auch diese Pfeifen müssen saniert werden. Sie bestehen aus einer Blei-Zinn-Legierung. Der Bleianteil ist sehr hoch, die Pfeifen darum weich. »Wir müssen sie besser aufhängen, weil sie sonst unten eingedrückt werden«, erläutert sie.
Als die Kantorin den Motor der Orgel abstellt, erlischt auch das kleine rote Lämpchen über der Eingangstür zur Orgelbühne. »Damit ich nicht vergesse, ihn abzuschalten«, erklärt sie. Noch so ein Detail, das dem Gottesdienstbesucher verborgen bleicht.
Kleines Orgellexikon
Disposition: Zusammenstellung der Register einer Orgel sowie deren Zuordnung zu den verschiedenen Klaviaturen.
Labialpfeifen: Auch Lippenpfeifen genannt. Der Orgelwind fließt durch den Kernspalt, bricht sich an der Kante des Labiums und versetzt dadurch die Luftsäule im Pfeifenkörper in Schwingungen, die den Ton erzeugen.
Lingualpfeifen: Auch Zungenpfeifen genannt, weil sie den Ton durch eine in Schwingung versetzte Zunge erzeugen.
Prospekt: Bezeichnet die sichtbare Vorderseite des Orgelgehäuses, das oft künstlerisch gestaltet und dem Kirchenraum gut angepasst ist.
Register: Eine Reihe von klanglich gleichartigen Pfeifen verschiedener Tonhöhe. Die Register werden durch Registerzüge ein- oder ausgeschaltet. Die Bürener Orgel hat 43.
Traktur: Bezeichnet die Verbindung zwischen Taste und Tonventil. Es gibt mechanische, pneumatische oder elektropneumatische Trakturen.
Windlade: Großer Holzkasten mit allen für das Orgelspiel notwendigen Steuerungselementen; auf diesem befinden sich die aufgestellten Pfeifen.
Artikel vom 11.12.2009