
Lokales
"Wichtig ist, dass die Leute in die Stadt gezogen werden"
EIN THEMA, zwei Meinungen Rüdiger Bonke (Bürgerinitiative) und Jörg Simon (Einzelhandelsverband) zum geplanten Einkaufszentrum
Büren. Kein anderes Thema hat die Bürener in den zurückliegenden Jahrzehnten so bewegt wie die Planungen für ein neues Einkaufszentrum in der Innenstadt.
Jörg Simon ist Einzelhändler (Bioladen) am Markt und kämpft seit anderthalb Jahren als Vorsitzender des örtlichen Einzelhandelsverbandes für die Belebung der Stadtmitte. Rüdiger Bonke ist Schatzmeister des Verkehrsvereins der Stadt Büren. Der frühere evangelische Pfarrer, heute Lehrer im Schulzentrum, setzt sich als Vorsitzender der Bürgerinitiative für einen Neustart der Planungen ein. Karl Finke sprach mit beiden über Erwartungen, Risiken und Befürchtungen zum geplanten Einkaufszentrum im Quartier im Kern.
Warum ist das Thema Einkaufszentrum im Quartier im Kern emotional so belastet?
RÜDIGER BONKE: Die Entrüstung auf der Seite der Bürger resultiert aus der Entscheidung am 18. Dezember, als sich der Bürener Stadtrat (mit 18:17 Stimmen, die Redaktion) die Vereinbarung mit der Schoofs-Gruppe entschied. Im Vorfeld waren viele Bürener der Meinung, dass die Gruppe Hesse/Büngeler das bessere Konzept vorgestellt hatte. Viele waren dann enttäuscht.
Bei dieser ersten Vorstellung der Pläne in der Bauausschusssitzung traten regelrechte Jubel-Bürener auf, möglicherweise Marktkauf-Mitarbeiterinnen.
Bonke: Die waren aber nicht bestellt sondern zeigten einfach ihre Begeisterung über das Engagement ihres Chefs – so habe ich es jedenfalls oben auf der Empore gehört.
JÖRG SIMON: Die Art und Weise war unüblich. Zuschauer haben normalerweise kein Recht auf irgendwelche Äußerungen in Ratssitzungen. In der Wahrnehmung von gewählten Vertretern ist Applaus keine politische Meinungsäußerung.
BONKE: Das stimmt.
Ratsmitglieder sprachen auch von Anfeindungen. Haben Sie aufgrund Ihrer Positionen Anfeindungen erfahren?
SIMON: Nein, aber die Gefahr ist groß. Ich bin jeden Tag auf Kunden angewiesen. Das ist vielleicht auch der Grund, warum viele Einzelhandelskollegen sich zu dem Thema nicht äußern wollen.
BONKE: Unser Kassenwart Andreas Meyer hat bei einem Rundgang durch die Stadt etliche Einzelhändler zu dem Thema befragt. Es gibt nicht viele, die das geplante Einkaufszentrum befürworten. Die äußern sich aber nicht öffentlich.
SIMON: Ich vertrete hier nicht mein Geschäft, Mir geht es darum, dass Büren als Stadt attraktiv wird. Ich muss auch nicht den Karren einer Partei ziehen.
Der Kern des Konflikts ist die Größe der Einkaufsflächen, 6.000 Quadratmeter – und vielleicht noch deren Gestaltung oder?
BONKE: Die gutachterliche Stellungnahme des Büros Junker und Kruse sagt klar, dass 6.000 Quadratmetern Einkaufsflächen negative städtebauliche und versorgungsstrukturelle Auswirkungen in der Innenstadt hätten – sie empfehlen maximal 4.200 Quadratmeter.
SIMON: Kruse und Junker stehen zu den 6.000 Quadratmetern. Für mich lautet die Kernfrage aber: Wie können wir in Büren die drei auseinander laufenden Einzelhandelsstandorte Innenstadt, Fürstenbergerstraße und Bahnhofstraße überwinden? Aus dieser Dreiteilung resultiert der stagnierende Umsatz im Einzelhandel. Weil wir in der Innenstadt keine großen Flächen haben, hat dies auch zur Verödung beigetragen. Das Thema Einkaufen hat für die Attraktivität einer Stadt einen hohen Stellenwert.
BONKE: Eine Innenstadt lebt gerade davon, dass Menschen in ihr wohnen und sie mit Leben füllen – gerade nach Verkaufsschluss.
SIMON: Daran müssen wir uns nicht reiben. Eine Stadt braucht aber auch eine Perspektive als Ganzes. Ein Einkaufszentrum wird nicht das Wohnen verdrängen. Wichtig ist aber, dass die Leute in die Stadt gelockt werden.
Könnten die geplanten Geschäfte überhaupt eine neue Anziehungskraft ausüben?
BONKE: In dem geplanten Einkaufszentrum mit Vollsortimenter und Discountern packen die Leute nur ihr Auto voll und fahren wieder nach Hause. Für einen Erlebniseinkauf reichen nicht fünf Geschäfte, da fahren viele lieber nach Paderborn. Auch Jugendliche wollen mehrere Läden durchstöbern. Das kann dieses geplante Einkaufszentrum nicht leisten. Was in Büren aber fehlt, sind weitere Fachgeschäfte, wie zum Beispiel das von Bürgern angesprochene Sportgeschäft. Wir brauchen eine Sortimentserweiterung und keine Verlagerung.
SIMON: Wenn ein Sportfachgeschäft fehlen würde, und es gab ein solches in der Vergangenheit, warum ist es dann geschlossen worden? Die Fachhändler-Struktur in der Stadt ist aber nur die eine Seite. Kunden kommen heute schon von weiter her zu den gut geführten Fachgeschäften in der Innenstadt. Ohne einen Frequenzbringer werden es die Fachgeschäfte allerdings schwer haben. Die Innenstadt befindet sich in einer bedrohlichen Situation. Traditionsgeschäfte sind schon verschwunden. Es kann jetzt nicht nur neue Angebote geben, sondern es müssen auch Verlagerungen stattfinden.
Das heißt dann auch, dass an anderen Stellen der Stadt Immobilien leer gezogen werden?
BONKE: Wir von der Bürgerinitiative haben zwei maximale Befürchtungen: Entweder wird das Einkaufszentrum so anziehend, dass zum Beispiel auch die Bürener Dörfer ausbluten. Oder die Discounter machen nicht genug Umsatz und die Immobilien stehen bald wieder leer. Spätestens dann hätte Büren ein größeres Problem.
SIMON: Das ist eine naive Vorstellung. Die Schoofs-Gruppe liebäugelt zurzeit mit langfristig planenden Ankermietern, zum Beispiel Edeka und Aldi. Lebensmittel-Einkauf muss in der Innenstadt stattfinden, weil dort sonst die Leute ausbleiben. Der Flächenzuwachs ist gar nicht so groß, wenn der Aldi umziehen würde. Davon würde die Innenstadt am meisten profitieren.
Marktkauf, Lidl, Combi – können die mit einem neuen Einkaufszentrum überleben?
SIMON: Der Combi bekommt vielleicht auch so Probleme, weil er etwas zurück liegt. Das sagt auch ein Experte wie Ferdinand Klingenthal. Es muss für eine Stadt aber eine Chance auf Weiterentwicklung geben, damit auch eine Combi-Immobilie attraktiv bleibt.
BONKE: Aber gerade der Combi versorgt doch die Oberstadt. Hier zieht er Menschen aus dem "Dichterviertel" an.
In Büren mangelt es an gastronomischen Angeboten. Müsste nicht auch dieses Thema im Einkaufszentrum aufgegriffen werden?
SIMON: Das Konzept ist die Ansiedlung großer Flächen, die wir in Büren bisher nicht hatten. Gastronomie wird sich mit zunehmender Frequentierung von allein einstellen und sollte dann die funktionale Brücke in die Stadt zu den kleineren Läden bilden, zum Beispiel könnte die Residenz-Apotheke dieses Thema dann aufnehmen. Auf keinen Fall dard eine Gastronomie von innen in einem Einkaufszentrum zu erreichen sein.
BONKE: Was ist dann mit der geplanten Bäckerei und dem Café direkt auf dem Rathausvorplatz im Eingangsbereich des geplanten Einkaufszentrums?
Büren kann die in seiner Bevölkerung vorhandene Kaufkraft nicht halten, vor Ort werden nur 70 Prozent ausgegeben. Kann ein Einkaufszentrum, so wie geplant, daran wirklich etwas ändern?
SIMON: Das habe ich Herrn Kruse vom Beratungsbüro Junken & Kruse auch gefragt, aber zweimal keine Aussage bekommen. Die können das auch nicht beantworten. Entscheiden werden das die Verbraucher, sie haben die Macht. Wenn die Kunden einen KiK-Markt fordern, müssen sie einen bekommen.
BONKE: In der vor Ort eingesetzen Kaufkraft (0,7, die Redaktion) ist der Internethandel mit Branchenanteilen von bis zu 40 Prozent gar nicht enthalten. Der Bereich Möbel kann in Büren gar nicht dazu gezählt werden, weil es keinen gibt. Gut wäre es natürlich, wenn Kunden auch von außerhalb nach Büren kommen würden. Das müsste dann aber ein anderes Angebot zum Beispiel in Form einer Sortimentserweiterung sein. Viele wollen nicht in eine Tiefgarage fahren. Wenn ein Weiberger zum Aldi in das Einkaufszentrum müsste, fährt er womöglich lieber nach Bad Wünnenberg, um dort auf einem Parkplatz ebenerdig zu parken.
SIMON: Für Weiberger würde der Weg zu einem Aldi im Einkaufszentrum sogar kürzer als heute zur Fürstenberger Straße.
Eine Umsiedlung des Aldis ist zur Zeit nicht wahrscheinlich. Können die Pläne an den Eigentumsverhältnissen scheitern?
SIMON: Klar können sie das. Eine Familie spielt mit ihren zwei Grundstücken eine entscheidende Rolle. Ich hoffe allerdings, dass die Grundstückseigentümer sich der Chancen für Büren bewusst sind und sie sich früher oder später einer guten Entwicklung nicht entgegen stellen.
BONKE: Wenn Schoofs die Grundstücke bis zum 1. April nicht zur Verfügung hat, ist er raus – hat der Bürgermeister zumindest gesagt. Mit liegt ein Schreiben vor, in dem eindeutig steht, dass ein Eigentümer weder das Grundstück in der Burgstraße noch in der Fürstenberger Straße, sprich Aldi, verkaufen will.
Sind die Pläne der Schoofs-Gruppe seriös?
BONKE: Wir haben starke Zweifel daran, ob diese Pläne wirklich realisiert werden. Der Investor hatte schon drei Jahre Zeit in denen nicht viel passiert ist.
Die verkehrliche Anbindung eines Einkaufszentrums allein an die Bertholdstraße könnte zu einem Verkehrsinfarkt führen.
SIMON: Die Bertholdstraße wird so, wie sie heute ist, nicht passen. Unser Blick ist hier zur Zeit aber noch nicht scharf genug. Man muss die Freifläche vor der gegenüberliegenden ehemaligen Gehörlosenschule (heute Mauritiusgymnasium, die Redaktion) ins Auge fassen. Ich würde mich wundern, wenn die Verkehrsprobleme nicht gelöst werden könnten.
BONKE: Die Einfahrt in ein Parkhaus ist immer schwierig. Dort müssen für die Statik viele Säulen stehen. Ein Parkplatz ist immer einfacher. Die Parkplätze am Marktkauf (fast 200, die Redaktion) sind am Wochenende komplett voll.
SIMON: Die für das Einkaufszentrum geplanten 350 Parkplätze sind gut. Da muss immer Luft sein, damit jeder einen Platz im Parkhaus findet.
Herr Bonke, Sie haben das Thema hochwertiges Wohnen in der Innenstadt in den Focus gerückt. Kann man solches Wohnen nicht auch an anderen Stellen in der Innenstadt realisieren?
BONKE: Es gibt in Büren nicht genügend altersgerechte Wohnungen. Viele Häuser können dafür nicht einfach umgebaut werden. Unterhalb vom Markplatz wohnt kaum noch jemand. Hier ist die Belebung der Innenstadt von Nöten. Wohnen hat heute vielfältige Ansprüche.
SIMON: Wohnen im Verdichtungsbereich einer Stadt vermittelt immer einen dörflichen Charakter. Eine Stadt muss aber den Anspruch haben, Kaufkraft vor Ort ansprechend zu befriedigen.
Die Kaufkraft wird auch durch die Bevölkerungszahl bestimmt. Wenn die Einwohnerzahl zurück geht, werden auch weniger Leute einkaufen.
SIMON: Vor einem negativen Trend darf man nicht einfach kapitulieren. Die Entwicklung von Bürener Unternehmen auch im Industriegebiet bindet weitere Arbeitskräfte an die Stadt. Auch die Migranten sind eine Chance.
Die Bürgerinitiative setzt auf ein Bürgerbegehren und Bürgerentscheid gegen ein von der Firma Schoofs geplantes Einkaufszentrum, will einen offenen Neuanfang. Wie schwer wird der Weg?
BONKE: Die 1.800 Unterschriften sind nicht das Problem. Da werden wir von Haus zu Haus gehen. Dann muss der Rat entscheiden. Zuerst muss er feststellen, ob das Bürgerbegehren formell richtig ist. Wenn dem so ist, und davon gehen wir aus, gibt es drei Möglichkeiten: 1. Der Rat entspricht dem Bürgerbegehren, der Bürgerentscheid entfällt. 2. Der Rat verständigt sich mit dem Bevollmächtigten auf eine einvernehmliche Regelung, der Entscheid wird überflüssig. 3. Der Rat setzt einen Termin für den Bürgerentscheid fest, der innerhalb von drei Monaten durchgeführt werden muss. Dafür müssen dann 3.600 bis 3.700 Bürgerinnen und Bürger an die Wahlurnen gehen.
Das erscheint fast unmöglich, oder?
BONKE: Die Wewelsburger, Ahdener und Steinhäuser sind nicht nach Büren orientiert, aber ein Einkaufszentrum in der Innenstadt würde auch Auswirkungen auf diese Dörfer haben. Es wird uns aber extrem schwer gemacht, beim Bürgerentscheid die erforderliche Stimmenzahl zu erreichen. Mit einer Briefwahl hätte man die höchste Wahlbeteiligung. Die Wahlunterlagen würden nach Hause geschickt und der Gang zur Wahlurne bliebe erspart. Aber das hat die Mehrheit im Stadtrat abgelehnt.
Schauen Sie bitte beide in die Glaskugel. Wird Büren in fünf Jahren anders aussehen?
SIMON: Wenn man Schoofs Glauben schenkt, will er Mitte 2016 anfangen. In fünf Jahren müsste in der Innenstadt dann etwas Neues stehen.
BONKE: Vielleicht ein Glaspalast. Doch in 2012, 2013 und 2014 ist schon nichts passiert. Schoofs hat keine Eile. Der Bereich unterhalb des Rathauses ist zudem Felsen. Arbeiten dort werden wie Bergbau. Bei den Lockerungssprengungen müssten das Rathaus und die komplette Königs- und Burgstraße abgestützt werden. Folgen solcher Arbeiten sind nicht absehbar. Ob der Investor die Kosten dann über die Mieten noch refinanzieren kann?
SIMON: Wenn der Stadtrat das Projekt absegnet, liegt es an uns, mehr für die Stadt Büren daraus zu machen.
© 2015 Neue Westfälische
15 – Paderborn (Kreis), Donnerstag 02. April 2015